STUMPF BETRACHTET: FOLGE 1


Einfach (mal) machen !

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Moin  ! Ich bin neu hier als Kolumnist. Meine Themenschwerpunkte sind Stadt, Urbanität und alles, was so als Staub drumherum schwebt. Im echten Leben bin ich Architekt. Trotz meines beruflichen Hintergrundes ist das, was ich hier schreibe, gefährlich subjektiv. Dafür entschuldige ich mich vorab. Also, worum geht es zur Premiere ? »Einfach (mal) machen !« war der Titel der Einladung der Architekten- und Ingenieurkammer Bremen zum diesjährigen parlamentarischen Abend mit dem Bürgermeister. Wow, dachte ich mir, das ist die Einladung zum Auftakt einer Zeitenwende im Bauwesen. Was ist da geplant ? In unserer Branche hat sich die Summe der mit dem deutschen Bauwesen im Zusammenhang stehenden Vorschriften seit 1990 bis heute von ca. 5.000 auf ca. 20.000 vervierfacht. Und jetzt ? Einfach (mal) machen ?

 


Ich will Euch mit den Redebeiträgen an dem Abend hier nicht langweilen. Kurzum: Es wird natürlich nichts mit dem »Einfach (mal) machen !« Alles viel zu kompliziert. Aber der Titel der Veranstaltung zeigt mir ein gewisses Muster des politischen Agierens hier in Bremen. Ob wir es nun politische Suggestion oder Ankündigungsrhetorik nennen, überlasse ich euch. Auffällig ist, dass Aufgabenstellungen rund um die Themen Bauen, Klimaschutz, Mobilität, Stadtentwicklung und Umwelt häufig politisch inszeniert thematisiert werden, dass die Folgen, also konkrete Handlungen, ausbleiben oder gar konterkarierend umgesetzt werden. Fazit: Es wird politisch kraftvoll angekündigt, was gar nicht oder nur rudimentär oder sogar gegenteilig umgesetzt wird.

 

Es gab für diese Stadt einmal eine Klima-Enquete-Kommission, die in den Jahren 2020/21 insgesamt 19 Sitzungen mit jeweils ca. 50 VertreterInnen aus Politik, Verwaltung und Initiativen sowie Sachverständigen durchgeführt hat, um eine Klimaschutzstrategie für das Land Bremen zu erarbeiten. In einem der vielen Bausteine für eine gelingende Klimaanpassung empfiehlt die Kommission ein Entsiegelungs- und Begrünungsprogramm für öffentliche Flächen (auch Verkehrsflächen). Was kann man drei Jahre später im Januar 2024 durch »buten un binnen« erfahren ? »In Bremen sollen in diesem Winter 2.200 Bäume gefällt werden. Als Ersatz werden jedoch wohl höchstens 1.000 neue Bäume aufgestellt.« Im März veröffentlicht der zuständige »Umwelt Betrieb Bremen« für den Fällzeitraum Oktober 2023 bis Februar 2024 das tatsächliche Gesamtergebnis in allen Bremer Stadtteilen: 2.199 Bäume wurden gefällt – davon über 40 in Findorff. Wie sieht es aber für das Klima mit den dringend erforderlichen Nachpflanzungen aus ? Der »Weser Kurier« raubt uns mit dem Artikel »Haushaltsnotlage blockiert das Pflanzen neuer Bäume in Bremen« alle Illusionen. Wir lesen: »Bäume gelten als zentraler Faktor, damit Bremen trotz Klimakrise eine lebenswerte Stadt bleibt. Doch dem Umweltbetrieb sind derzeit die Hände gebunden: In der haushaltslosen Zeit darf er keine Bäume pflanzen.«

 


Vielleicht bin ich ja vom Dorf in die Provinz gezogen ?

Als Neu-Bremer – ich lebe erst seit zehn Jahren hier – , frage ich mich natürlich, wie ist das möglich ? Bei mir hat sich folgende Perspektive gebildet: Es hat sich im Zusammenspiel von Politik und Verwaltung eine Trennung von Reden und Handeln etabliert, die dazu führt, dass sich Stillstand beziehungsweise Rückschritt manifestieren. Die Bremer Politik möchte einfach (mal) machen und formuliert zeitgemäß plakative Überschriften wie zum Beispiel »Verkehrswende«, »Klimaanpassung« und »Innenstadtentwicklung«. Unter diesen Begriffen finden sich dann die in Kommissionen und Arbeitsgruppen entwickelten Leitziele und Maßnahmen. Das ist das Reden, welches sich auch in den Aussagen der Parteien und in Koalitionsverträgen wiederfindet. Das Handeln – sprich das Umsetzen dieser Ziele und Maßnahmen – obliegt dann der Verwaltung. Ob die personell und finanziell sachgerecht ausgestattet ist, darf man bezweifeln, wie das genannte Beispiel zeigt.

 

Na gut, das habe ich jetzt vereinfacht dargestellt. Natürlich gibt es in den ganzen politischen Findungs- und Entscheidungsprozessen auch noch die widerstreitenden Interessenlagen von Institutionen (z. B. Handelskammer) und Initiativen und Verbänden (z.B. Klima- und Verkehrsbündnisse), welche politisch, je nach Gewichtung und Einfluss, mitverhandelt werden. Wenn man sich aber mit all diesen Verflechtungen und Strukturen nicht auseinandersetzt, ist »Einfach (mal) machen !« ein sehr guter Slogan, um als vermeintliche Aktivposten mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Schließlich ist es in Bremen so wie auf dem Dorf, man trifft unsere SenatorInnen auf dem Findorffmarkt, in Waller Punkrockkneipen oder beim Rennradfahren im Blockland. Und ab und an trifft man sich auch in der Privatheit von Vereinen und Interessenszirkeln. Da sind Slogans schnell herausgehauen – und man selbst kann sich als politische MacherInnen darstellen. Ich habe viele Jahre in einem Dorf mit 141 EinwohnerInnen gelebt, da war es nicht anders. Nun war ich vor zehn Jahren der Meinung, dass ich in eine Großstadt gezogen bin. Man sagte mir hier aber immer wieder, dass Bremen ein »Dorf mit Straßenbahn« sei.

 

Dem kann ich nur beipflichten. Vielleicht bin ich ja auch vom Dorf in die Provinz gezogen ? Kann man ja einfach (mal) machen.

 

Text: Karsten Stumpf, Fotocollage: privat, san4ezz, erschienen in Ausgabe 30 im Juni 2024

 

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