Moin ! Heute befasse ich mich in dieser Kolumne einmal mit etwas, was angeblich uns allen gehört – dem öffentlichen Raum. Habt ihr euch schon einmal damit bewusst auseinandergesetzt ? Bestimmt habt ihr das. Spätestens, wenn euer Wohnquartier völlig zugeparkt ist, so dass ihr auf der Straße gehen müsst, spürt ihr direkt, wie öffentlicher Raum missbraucht wird.
Gehört der öffentliche Raum uns allen ? Theoretisch ja. Praktisch sieht das anders aus. Ich laufe durch Bremen und möchte in der Stadt chillen. Aber ganz offensichtlich regiert nicht das Gemeinwohl, sondern der Kommerz. Überall möchten Werbetafeln von mir wahrgenommen werden. Es leuchtet und blinkt manigfaltig. Heute, während ich diese Kolumne schreibe, buhlen zusätzlich noch überall PolitikerInnen auf Wahlplakaten um meine Aufmerksamkeit. Ich kann dieses aufgesetzte Lächeln und die arg verkürzten Botschaften nicht mehr sehen und muss mich erst einmal hinsetzen, um mich von dem Overkill zu erholen und meine Sinne neu auszurichten.
Aber qualitätsvolle Sitzgelegenheiten ? Ganz oft nur, wenn ich dafür zahle. Der Marktplatz ? Mehr Touristenkulisse als Treffpunkt. In anderen Quartieren das gleiche Bild – Restaurants, Bars, aber kaum ein Fleckchen, wo man sich einfach hinsetzen kann, ohne etwas bestellen zu müssen. Der öffentlich Raum wird zur Konsumzone. Er schrumpft zugunsten von Außengastronomie und Shopping. Wer sich treffen will, ohne Geld auszugeben, hat es schwer. Klar, Gastronomie belebt eine Stadt. Aber wenn Plätze nur einladend sind, wenn man sich einen Kaffee für vier Euro leisten kann – dann läuft etwas falsch. Dabei geht es nicht nur um Plätze zum Verweilen, sondern auch um Orte der Begegnung, um Räume, die frei genutzt werden können – sei es für Straßenmusik, politische Diskussionen oder einfach nur zum Zusammensein. Doch die Stadtgestaltung folgt anderen Interessen, sie unterwirft sich nicht selten wirtschaftlichen Interessen und Investoren.
Da fragt man sich zunehmend, wo bleibt die soziale Gerechtigkeit ? Großflächige Kameraüberwachungszonen in »wirtschaftlich« vitalen Bereichen versprechen eine gefühlte Sicherheit. Platzverweise werden großzügig verteilt. Betrachten wir den Hauptbahnhof und sein Umfeld. Für viele ist es dort abschreckend. Ich möchte die Probleme hier nicht relativieren, doch statt sich ernsthaft um soziale Probleme zu kümmern, werden »unerwünschte« Menschen einfach aus dem Stadtbild verdrängt. Ist das sozial gerecht ? Wer darf sich wo aufhalten ? Wer wird wo geduldet ? Sicherheit entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch lebendige, soziale Räume, in denen sich alle willkommen fühlen. Städte, die wirklich sicher sind, setzen auf ein anderes Konzept: Plätze, die durch soziale Nutzung belebt sind, in denen Menschen freiwillig bleiben, nicht weil sie müssen, sondern weil sie sich wohlfühlen. In Bremen setzt man auf das Gegenteil: mehr Polizeipräsenz an sogenannten Brennpunkten, mehr Verbote, weniger bis gar keine echten Lösungen.
Neben den Aspekten der sozialen Ungerechtigkeit wird der öffentliche Raum auch durch pure Egoismen okkupiert, wie bspw. durch illegales Parken. Ist es ein Privileg, seinen PKW kostenlos auf dem Gehweg in der eigenen Wohnstraße abzustellen ? In Bremen schon. Es wird geduldet und nicht konsequent geahndet. Trotz eines höchstrichterlichen Urteils im vergangenen Jahr, agiert die zuständige Verwaltung ausweichend, relativierend und in einer bemerkenswerten Entschleunigung, die offensichtlichen Probleme zu lösen. Warum ist das so ? Offensichtlich fehlt der politische Wille. Es gibt Lösungen – Umverteilung von Straßenräumen, Bewohnerparken, autofreie Zonen, konsequente Kontrollen. Zuletzt wurde in Findorff die (Wieder)herstellung der Rettungssicherheit angekündigt, aber solange die Maßnahmen nicht umgesetzt werden und die Einhaltung ständig kontrolliert wird, sind Autos in der Autostadt Bremen unantastbar – und es ändert sich nichts.
Dabei könnte Bremen eine echte Vorbildstadt sein. Die Voraussetzungen sind da: kurze Wege, ein hohes Radverkehrsaufkommen, eine grüne Umgebung. Doch anstatt pragmatische und lösungsorientierte Konzepte konsequent umzusetzen, bleibt es bei halbherzigen Maßnahmen. Ein paar Markierungen hier, ein wenig Symbolpolitik dort – das reicht nicht.
In den Neunzigerjahren hat sich in England die Bewegung »Reclaim the Streets« gegründet, um sich den öffentlichen Raum zurück anzueignen, die Stadt zurückzuerobern. In dieser Bewegung sammeln sich Menschen aller gesellschaftlichen Richtungen, für die Gemeinschaft, soziale Gerechtigkeit und ökologische Aspekte im Mittelpunkt stehen.
Also Bremen, was geht ? Es gibt so viele, vereinzelte Initiativen, die isoliert agieren. Tut euch zusammen, nehmt es in die Hand, zeigt doch, dass öffentlicher Raum für Menschen da ist und nicht
nur für Autos und Kommerz. Schafft euch die Freiräume für Kultur, Begegnung, echtes Miteinander. Denn am Ende entscheidet sich hier, was Bremen wirklich ausmacht: Seine Menschen und seine bunte
Gesellschaft.
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