Karim wurde 1999 in Afghanistan geboren – ein Land mit einer komplexen Migrationsgeschichte. Der seit 16 Jahren andauernde Krieg zwischen den radikal-islamischen Taliban und dem Militär der amerikanischen und der afghanischen Regierung sowie den Nato-Staaten hat viele Regionen unbewohnbar gemacht. Karim Sander kam aufgrund der Kriegssituation in seinem Land Ende 2015 nach Deutschland. Die AfghanInnen werden schon seit Jahrzehnten vertrieben und viele MigrantInnen leben bereits seit über drei Dekaden in einem anderen Land. Über seine persönlichen Erlebnisse während der Flucht möchte Karim öffentlich nicht sprechen. Lieber spricht er über sein Ziel, die Ausbildung als Fotograf bei dem Foto- und Kreativteam »Bildplantage XIII« in Findorff erfolgreich abzuschließen. Die bei »Bildplantage XIII« für seine Ausbildung verantwortliche Annelie Sander sagt über Karim: »Seine Motivation und Energie begeistern uns alle sehr. Er betreibt die Fotografie mit großer Leidenschaft. Karim bringt das Team mit seinem Witz und Charme oft zum Lachen und sorgt damit für gute Stimmung.« Weitere Infos gibt es unter www.bildplantage13.de und mehr Infos über die Gründe, warum Menschen Ihre Heimat verlassen, unter www.fluchtgrund.de
Karim, Du bist derzeit in der Ausbildung für Deinen Traumberuf. Warum möchtest Du unbedingt Fotograf werden ?
Ich möchte Fotograf werden, weil es mein Ziel ist, später in die armen Länder dieser Welt zu reisen, um zu zeigen, wie die Menschen dort in Armut leben. Ich möchte die Kinder dort fotografieren, um zu vermitteln, wie hart sie dort arbeiten. Wenn man eines dieser Kinder mit nur zehn Euro im Monat unterstützt, könnte es auf eine Schule gehen und vielleicht aus seiner Situation herauskommen. Das unglaublich harte Leben dieser Kinder möchte ich im Bild festhalten und in meinen Reportagen zeigen.
Deine Ausbildung machst Du bei uns im Stadtteil im Findorffer Studio »Bildplantage XIII«. Wie wirst Du von dem Team unterstützt, um die Ausbildung erfolgreich abzuschließen ?
Alle KollegInnen im Studio unterstützen mich auf ihre jeweilige Art. Sonja unterstützt mich durch die kreativen Aufgaben, die sie mir gibt. Maika unterstützt mich beim Fotografieren und bei der Dekoration. Sie erklärt mir auch das Licht und wie man es einsetzt. Mein Chef Martin Bockhacker und meine Chefin Annelie Sander geben mir Zeit und Freiraum. Auch die Kameratechnik im Studio kann ich ausleihen und nutzen. Alle sind für mich da, wenn ich nach der Berufsschule im Studio bin, und fragen mich, ob es irgendwelche Probleme gibt oder ob sie mir helfen können. Das ist wirklich toll.
Du besuchst gleichzeitig die Berufsschule. Deine Bilder zum Thema «Schwingungen« haben die beste Note in Deiner Klasse bekommen. Die Fotoserie zeigt Klangschalen, die Du durch Licht überraschend in Szene gesetzt hast. Die einfachen Klangschalen sehen in Deiner visuellen Interpretation teilweise aus wie Mondlandschaften, die man bei klarer Sicht am Himmel sehen kann. Wie bist Du auf das Thema »Schwingungen« gekommen – und was ist der inhaltliche Hintergrund für diese besondere Art der Inszenierung ?
»Schwingungen« war erstmal ein ganz schweres Thema für mich, weil ich zunächst gar nicht wusste, was das Wort alles bedeutet. Ich habe dann im Internet recherchiert und herausgefunden, dass das Wort mehrere Bedeutungen haben kann. Das Leben ist durch Schwingungen bestimmt. Schwingungen beeinflussen zum Beispiel aber auch das Wasser. Als erste Idee habe ich stundenlang Steinchen in einen Gartenteich geworfen und versucht die Wasserkreise zu fotografieren. Ein Stein ist daneben geflogen und hat einen leeren Blumentopf getroffen. Das gab einen seltsamen Klang. Dieser Treffer hat mich auf die Idee der Klangschalen gebracht, die auch optisch viel besser aussehen, als ein Blumentopf. Ich habe mir dann gesagt: »Okay, bringe ich die Schwingungen der Klangschalen und die Schwingungen des Leben von der Geburt bis zum Tod zusammen. Als Sinnbild für die die Geburt habe ich die Schale in Rot ausgeleuchtet und für die Jugend und das Erwachsenwerden habe ich Gelb gewählt. Für das Alter und den Tod habe ich ein kühles Blau genommen.
Neben Deiner Ausbildung bist Du auch in anderen künstlerischen Bereichen unterwegs. Du hast unter der Leitung von Saher Khanaqa-Kükelhahn in »Und täglich grüßt der Flüchtling« im Bremer Theater am Goetheplatz mitgespielt. Deine Theatergruppe heißt »the next generation« und ist ein internationales Bremer Laien-Ensemble, das seit mehren Jahren Mitwirkende aus vielen Ländern im Alter zwischen 15 und 25 auf die Bühne bringt. Die Beschreibung des Stückes beginnt mit der Zeile »Als Mandy aufwacht, stehen plötzlich ein frommer Afghane, ein selbstverliebter Somalier und ein alter, weiser Inder in ihrem Schlafzimmer. Nur Mandy kann sie sehen und muss mit ihnen leben, bis Zeus sich wieder etwas Neues einfallen lässt.« Du musstest Dein Heimatland Afghanistan verlassen. Warum hast Du Dich entschieden, in diesem Stück mitzuspielen ?
In diesem Stück geht es um Vorurteile. Manche sagen: »Du bist schwarz.« Andere sagen: »Du bist blond und so weiter.« Das ist doch alles bla bla. Für mich sind alle Menschen gleich. Das ist die Botschaft in diesem Theaterstück. Um das zu zeigen, habe ich mitgespielt.
Welche Rolle hast Du gespielt – und ist neben der Fotografie auch der Beruf des Schauspielers für Dich denkbar ?
Meine Rolle war die eines Engels, der die Hauptfigur Mandy unterstützt, damit Zeus sie nicht hart bestraft oder sogar tötet. Schauspieler möchte ich später nicht werden, aber als Hobby im Theater auf einer Bühne zu spielen macht mir richtig Spaß.
Im Theater, aber auch besonders im Alltag ist die Sprache eines Landes unverzichtbar, um kommunizieren zu können. Wie hast Du deutsch gelernt – und wie lange hast Du gebraucht ?
Ich habe deutsch am Gymnasium und vor allem mit Hilfe meiner Pflegemutter gelernt. Wir haben an den Wochenenden viele Bücher auf deutsch gelesen – und sie hat mir geduldig die Worte und Sätze erklärt. Wichtig waren auch die Kontakte zu all den Menschen, die ich bisher kennengelernt habe. Zwei Jahre hat es insgesamt gedauert, um deutsch zu lernen.
Du bist ehrenamtlich aktiv in der Freiwilligen Feuerwehr in Osterholz-Scharmbeck. Der Bürgermeister hat den Feuerwehrnachwuchs schon gewürdigt und gesagt: »Bei einer so guten Jugendarbeit blicke ich zuversichtlich nach vorn.« Warum engagierst Du Dich dort – und was hast Du schon erlebt ?
Ich finde Feuerwehrmann ist ein ziemlich spannender Beruf. Gut gefällt mir bei der Feuerwehr, dass man Menschen helfen kann und jeder bei uns für die anderen da ist. Ich glaube daran, dass man auf die Welt gekommen ist, um für andere da zu sein. Man sollte sich gegenseitig helfen. Deswegen bin ich bei der Feuerwehr und es macht mir richtig Spaß. Ich bin als Nachwuchs noch nicht bei den ganz gefährlichen Einsätzen dabei, bei denen man eine Atemschutzmaske braucht. Einmal aber durfte ich schon bei einem Einsatz mit: Eine ältere Frau hatte ihren Schlüssel unter ihrem Bett verlegt. Weil sie das nicht mehr wusste, kam sie auf die Idee, die Feuerwehr anzurufen. Ich durfte bei diesem Einsatz mit und wir haben dann alle in der Wohnung den Schlüssel gesucht und auch gefunden (lacht).
Dein Instagram-Account verrät: Du reist gern. Was hast Du schon von Deutschland und Europa gesehen ?
Im ersten Jahr in Deutschland durfte ich nicht ins Ausland reisen. Deshalb bin ich zuerst im Land gereist. Ich war unter anderem in Bonn, Essen, Hamburg, Berlin. Nach dem Jahr bin ich nach Paris gefahren und war auch in Belgien, um dort einen guten Kumpel zu besuchen. Er lebt dort mit seinen Kindern.
Wie gefällt Dir Bremen ? An welchem Ort bist Du in unserer Stadt am liebsten ?
Ich finde Bremen sehr schön. Es ist nicht so groß und hektisch wie Hamburg oder Berlin. Die Menschen hier sind sehr nett und freundlich. Es gibt in Bremen spannende Orte wie den Dom, die Domsheide oder das Universum. Die Neustadt finde ich als Stadtteil sehr schön und sauber.
Okay, in einem Stadtteilmagazin für Findorff die falsche Antwort, aber lassen wir gelten. Was antwortest Du jemandem, der sagt: Die Flüchtlinge sollen sich in Deutschland integrieren ?
Als Flüchtling sollte man sich mit der Kultur des Landes beschäftigen, in das man kommt. Jedes Land hat seine eigene Kultur, mit der man klar kommen sollte. Als Flüchtling sollte man auch an die eigene Zukunft denken – also was man in seinem Leben eigentlich noch alles so machen möchte. Ein Leben lang vom Staat nur Geld zu bekommen finde ich schrecklich und kann ich mir auf Dauer nicht vorstellen. Und weiterhin die deutsche Sprache zu lernen ist natürlich ganz wichtig, damit man sich auch gut verständigen kann.
Stichwort: Zukunft und »the next generation«. Wo siehst Du Dich in zehn Jahren ?
Es gibt für mich zwei Möglichkeiten: In zehn Jahren sehe ich mich entweder als professioneller Fotograf um die Welt reisen oder aber ich bleibe hier in Bremen und umzu und bin dann verbeamteter Feuerwehrmann bei der Berufsfeuerwehr.
Karim, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Mathias Rätsch, Foto: Bildplantage XIII, Interview erschienen in Ausgabe Nr. 11, 2019