Stefan Schröder (45) wurde in Hamburg geboren. Der Gastronom betreibt in Bremen neben der in diesem Jahr neu eröffneten »L‘Orangerie« in Findorff auch das »Allegria« in Schwachhausen, den »Kleinen Ratskeller« im Schnoor und das »Feines 1783« in der Innenstadt am Bremer Marktplatz. Stefan Schröder steht für anspruchsvolle Qualität, absolute Frische und großartige Geschmackserlebnisse in einem besonderen Ambiente. Zwei Tipps: Am lebhaftesten Markttag kann man am Samstag von 9:00 Uhr bis 11:00 Uhr lecker frühstücken und das Marktgeschehen beobachten – und der wöchentlich wechselnde Mittagstisch ist auch im Preis-Leistung-Verhältnis sensationell. Die Speisekarte, der Mittagstisch mit Fisch, Fleisch und Salat der Woche sowie weitere Infos finden sich auf www.lorangerie-bremen.de
Die Corona-Pandemie hat auch in Bremen die Gastronomie schwer getroffen. Vielen Betrieben droht die Insolvenz. Du hast in der Krise das Restaurant »L‘Orangerie« am Bunker auf dem Findorffmarkt eröffnet. Wie verrückt muss man sein ?
Verrückt ? ? ? Oder einfach nur selbstbewusst ? Ich finde, man sollte auch während einer Pandemie nicht den Kopf in den Sand stecken. Man sollte stattdessen versuchen, wie der Lachs gegen den Strom zu schwimmen – und zeigen, dass es auch anders geht. Man kann auch in schwierigen Zeiten eine vernünftige Gastronomie aufbauen, sich an die Regeln halten und zeigen, das es auch anders geht.
Warum hat es mit dem Anbau am Bunker am Findorffmarkt bis zur Eröffnung im August so lange gedauert ?
Erstens hat mich niemand gehetzt. Zweitens gab es ein paar bauliche Prozesse, die komplexer waren. Drittens sollte man eine Sache nur machen, wenn man sie zu 100 % gut macht.
Bist Du ein Perfektionist ?
Privat bin ich eher der Typ, der in der Erziehung seiner Kinder sehr viel durchgehen lässt. Beruflich bin ich in der Tat absoluter Perfektionist. Ich werde von MitarbeiterInnen oft als streng beschrieben, weil ich alles so haben will, wie ich es will. Ich gebe Dir ein Beispiel: Wenn ich die Wand schwarz gemalt haben will, dann will ich die Wand schwarz gemalt haben. Wie Du die Wand schwarz anmalst, ist mir egal. Du sollst Dich dabei nicht verbiegen, aber male die Wand bitte nicht grün, gelb oder blau an.
Ich habe mir seit der Eröffnung der »L‘Orangerie« im August einige Bewertungen im Internet auf »Google« angeschaut: Zwei Drittel sind erstklassige Bewertungen mit vier oder fünf Sternen. Ansonsten gibt es nur zwei Sterne oder als schlechteste Bewertung einen Stern. Rezensionen im »Mittelfeld« mit drei Sternen gibt es keine einzige, dafür Aussagen zum angeblich wenig erfreulichen Service. Der »Kellner« mit dem grauen Bart sei super unfreundlich. Das kann ich jetzt nicht bestätigen, aber dennoch die Frage: Polarisierst Du als Person ?
Ich polarisiere sehr stark als Person. Aber ich sage auch: Wir haben seit März »Corona«. Gäste haben sich in Corona-Zeiten an Regeln zu halten – und es gibt es auch bei uns Öffnungszeiten, die gelten. Zudem sind wir ein Speiserestaurant. Gern kann man in der »L‘Orangerie« nur einen Cappuccino oder einen guten Kaffee trinken, aber wir sind kein Café, sondern eben ein Speiserestaurant. In den momentanen Corona-Zeiten hat man weniger Sitzplätze zur Verfügung. Trotzdem müssen wir betriebswirtschaftlich auf unsere Kosten kommen. Dafür erwarte ich Verständnis. Wenn man zum Beispiel auf unserer Terrasse nur etwas trinken möchte, geht das. Wenn ich nach 20 Minuten Verweildauer den Tisch brauche, sage ich das meinen Gästen vorher. Das finde ich völlig normal. Auch wenn jemand außerhalb der Öffnungszeiten hereinkommt und mit seiner EC-Karte wedelt, weil er und seine Mama sofort bedient werden wollen, während eigentlich geschlossen ist und unser Team wohlverdient Pause macht und am Mittagessen ist, kann ich ein solches Verhalten nicht verstehen. Also polarisieren: Ja, positiv wie negativ. Ich habe ein klares Credo für guten Service. Guter Service heißt für mich nicht, dass man gegenüber den Gästen devot ist und jedes Verhalten akzeptieren muss. Auch Gäste haben keine Narrenfreiheit. Es gibt Regeln für den gegenseitigen, respektvollen Umgang miteinander. Wenn bei uns am Eingang ein großes Schild mit dem Satz »Sie werden platziert.« steht, kann man eben nicht einfach auf die Tische zulaufen, ohne angewiesen zu werden. Zumal wir momentan die Tische auch völlig zurecht zwischendurch zu desinfizieren haben. Derartige Zusammenhänge vermittele ich ab und zu auch gegenüber Gästen sehr eindringlich. JedeR kann sich dann immer noch überlegen, ob man mit den Regeln umgehen möchte oder nicht.
In einem weiteren Google-Eintrag ist zu lesen von »Stammgästen«, die kommen, weil sie sich anscheinend »hip« fühlen, da sie bei Herrn Schröder sitzen dürfen. Ist das einfach nur bösartig oder offensichtlicher Sozialneid – und wie gehst Du mit solchen Bewertungen von Menschen emotional um, die Dich persönlich gar nicht weiter kennen ?
Wo steht das ? (Stefan Schröder sucht auf seinem Smartphone im Internet die neue Bewertung. Die Antwort kommt dann mit kurzer Bedenkzeit.) Ich finde, wenn die Leute mir etwas zu sagen haben, sollen sie mir das gern persönlich sagen, aber sich nicht hinter anonymen Bewertungen verstecken.
Ein weiterer Eintrag zur Begrüßung der »L‘Orangerie« im Stadtteil lautet: »Passt nicht wirklich nach Findorff.« Der Rezensent erträgt in seiner Vorstellung einer »Dorffgemeinschaft« offensichtlich kein hochwertiges Restaurant, das sich im Anspruch und auch preislich nach oben abhebt. Was sagst Du als offensichtlicher Individualist dazu ? Warum passt aus Deiner Sicht die »L‘Orangerie« sehr gut nach Findorff ?
Wir passen sehr gut nach Findorff und Bremen, weil dieses Restaurant einfach ein besondere Location ist, es Spaß macht bei uns Gast zu sein, der Service gut ist und unsere Gerichte geschmacklich sehr lecker sind. Der erwähnte Hobbykritiker hat auf »Google« auch geschrieben, dass ein Nachtisch bei uns 12,90 Euro kostet. Mit seiner Kritik deklariert er Findorff als »Billig-Stadtteil«, was die FindorfferInnen vermutlich nicht so sehen. Es wurde online auch moniert, dass wir keine vegetarischen Gerichte anbieten, was nicht stimmt. Wir haben an manchen Tagen über zwanzig Gäste, die VegetarierInnen sind – und denen wir sehr leckere, vegetarische Gerichte anbieten.
Kurz definiert: Was macht einen guten Gastronom aus ?
Visionen, Durchhaltevermögen, Erfolg und ein dickes Fell.
Welche gastronomische Erfahrung hat Dich besonders geprägt ?
Das gemeinsame Kochen mit meiner Oma. Diese Erfahrung in meiner Kindheit hat mich geprägt. Heute kann ich durch die Selbstständigkeit meine Interessen wie Angeln, Kochen und meine ausgeprägte Vorliebe für bestimmte Produkte hervorragend kombinieren. Ich wache jeden Morgen auf und weiß, die Dinge, die ich heute mache, mache ich für meine Familie und mich. Auch sehr entscheidend: Was ich mache, mache ich gern.
Du hast vier Restaurants. Wie sind Deine Arbeitszeiten ?
Mein Arbeitstag hat 14 bis 18 Stunden. Sieben Tage die Woche.
Du sagst: »Meine beste Werbung sind die Gerichte auf dem Teller.« Reicht das als Marketing, um ein neues Restaurant bekannt zu machen ?
Werbung für gute Gerichte macht man letztendlich nur über besondere Geschmackserlebnisse. JedeR sollte sich selbst überzeugen, ob und wie etwas schmeckt und sich dazu eine eigene Meinung bilden – und das natürlich nicht alle immer einer Meinung sind, ist wie in der Politik: Es gibt verschiedene Positionen. Genauso ist es beim Essen.
In der Gastronomie geht es oft etwas ruppiger zu, weil in der Küche und im Service alles klappen muss. Wie ist das bei Euch ?
»Ruppig« ist ein schwieriges, weil nicht ganz passendes Wort. Die Abläufe der Gastronomie müssen stimmen. Da wir alle nur Menschen sind, läuft auch bei uns nicht immer alles perfekt. Stress und Druck produzieren Hektik – daher muss man versuchen im Vorfeld zu präventieren, damit es nicht hektisch wird. Wenn zeitlich eng getaktete Prozesse einigermaßen über die Bühne gehen, läuft es bei uns meistens relativ entspannt.
Als »Food Broker« hast Du weltweit für die Top-Gastronomie Lebensmittel eingekauft. Was ist ein »Food Broker« ?
Du scoutest bestimmte Produkte, kaufst sie ein, bringst sie auf den deutschen Markt – und versuchst sie erstklassigen GastronomInnen zu verkaufen. Das habe ich mehrere Jahre gemacht.
Wie erlebst Du Findorff privat als Stadtteil, wo Du mit Deiner Frau und Euren zwei Kindern seit 2012 auch lebst ?
Ich empfinde Findorff als sehr familienfreundlichen und ziemlich entspannten Stadtteil.
Ein Papa, der so gut kochen kann, ist sicherlich ein Traum. Was gibt es bei Euch zuhause auf den Tisch – und bekommst Du von Deinen Kindern auch Lob für Deine Kochkünste ?
Ich koche zuhause sehr wenig, weil ich dafür kaum Zeit habe. Meine Kinder kommen zu uns nach der Schule ins Restaurant, um zu essen. Wenn ich zuhause bin, versuche ich mit den Kids andere Dinge zu machen, als zu kochen. Natürlich kochen und backen wir auch ab und zu, aber viel wichtiger ist, dass wir zusammen spielen, kuscheln und Papa einfach da ist.
Wie man auf »YouTube« in einem Video beim Armdrücken mit Ex-Werder-Torhüter Tim Wiese sehen kann, liebst Du den Wettbewerb. Im Armdrücken habe ich gegen Dich leider keine Chance. Machen wir lieber einen verbalen Schlagabtausch um den besten Gastrowitz. Du fängst an.
Ehrlich gesagt: Ich kenne gar keine Gastrowitze. Ich könnte mir jetzt einen Witz aus dem Ärmel schütteln, wie: »Guck mal, da sind kompetente und ehrliche ›Google‹-Bewertungen.«
Das wäre doch zur Abwechslung einmal ein guter Witz.
Der Gastrowitz aus meiner Kindheit geht so: Gast zum Kellner: »Haben Sie auch Froschschenkel ?« Antwortet der Kellner dem Gast: »Nein, ich laufe immer so.«
Ja, den Witz kenne ich natürlich.
Meine letzte Frage: Warum sollte man die Weihnachtsfeier dieses Jahr in der »L‘Orangerie« buchen ?
Ich weiß gar nicht, ob ich Weihnachtsfeiern machen werde, angesichts der Unsicherheiten, die Corona weiterhin für unsere Branche bringt. Wenn wir Weihnachtsfeiern anbieten, werden wir das auf unserer Homepage rechtzeitig bekannt geben.Stefan, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Mathias Rätsch, Foto: Kerstin Rolfes, Interview erschienen in Ausgabe Nr. 16, 2020