Mathias Rätsch von FINDORFF GLEICH NEBENAN sprach mit Ulf Jacob, Leiter Strategie und Politik bei der
Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) und Sprecher für das Bündnis lebenswerte Stadt. Das deprimierende Fazit des Schwammstadt-Experten aus Findorff: »Fehlender Baumschutz rächt sich. Vorsorgende
Schutzmaßnahmen wären billiger als nachträgliche Sanierungen und Neupflanzungen. Großartige Konzepte haben wir genug in Bremen, aber für die Mehrheit der Parteien haben Bäume und ein besseres
Stadtklima keine Priorität.«
Ulf Jacob, im Koalitionsvertrag der Bremer Landesregierung ist zu lesen: »Wir wollen Bremen zu einer Schwammstadt machen«. Man möchte Bremen so umzubauen, dass Regenwasser wie ein Schwamm zwischengespeichert und verzögert wieder abgegeben werden kann. Sie kritisieren: »Was wir nicht brauchen, ist noch eine neue Strategie. Davon haben wir in Bremen genug. Wichtig sei, die Schwammstadt jetzt auch zu machen.« Wo wurde in Findorff im letzten Jahr »Schwammstadt gemacht« ?
Schwammstadt ist ein wichtiges Konzept für die Zukunft, weil wir uns an das Klima anpassen müssen, das sich leider sehr stark verändert. Wir werden in Zukunft mehr extreme Wetterereignisse haben. Dürrezeiten werden ebenso zunehmen wie extreme Regenereignisse. Darauf muss eine Stadt sich vorbereiten – zum Beispiel mit dem Konzept »Schwammstadt«. Es gibt für Bremen verschiedene Bausteine, die wir in der Stadt, aber natürlich auch in Findorff umsetzen müssen. Zu diesen Bausteinen gehören unter anderem mehr Wasserflächen, Grün und Bäume.
Sie fordern eine wasserbewusste Stadtgestaltung mit »mehr Grün und Blau ins Grau«. Ungenutztes Schwammstadt-Potenzial bietet insbesondere der Straßenraum. Sie fordern, dass Straßen grüner gestaltet werden. Gut gefordert, aber wie sieht die Realität im Stadtteil aus ?
Es passiert leider zu wenig. Wir haben einen Umsetzungsstau. In den Innenstadtbezirken und in Stadtteilen wie Findorff als dicht bebautes Quartier fehlt es an Grün, an Verschattung, an Wasser und an Speichermöglichkeiten durch Bäume und Grünanlagen. Wir haben eine sehr starke Versiegelung. Wir haben sehr wenig Bäume – insbesondere an den Straßen, also dort wo sich die Menschen aufhalten. Es gibt eine Menge Wissen und Konzepte das zu ändern, aber die Umsetzung ist das Problem. Wir kommen einfach nicht weiter und es dauert zu lange.
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Statt mehr Klimabäume zu pflanzen, wurden zuletzt in Findorff massiv Bäume gefällt. Die aktuelle Bilanz: Es gab 40 gefällte Bäumen in der letzten Saison und bis Mai 2025 müssen im Stadtteil weitere elf Bäume gefällt werden. Für die 40 gefällten Bäume waren als Kompensation seitens des Umweltressorts zehn Nachpflanzungen versprochen worden. Tatsächlich gab es drei Nachpflanzungen. Für die in der Fallsaison 2025 zu fällenden elf Bäume sind für Findorff acht Nachpflanzungen versprochen worden. Bleibt es bei dieser »Kompensation«, die keine ist ?
In den Zeiten von Trockenheit, Dürre und erhöhten Anforderungen geht es den Bäumen grundsätzlich schlechter. Auch die Bäume in Findorff sind davon betroffen. Früher wurden Bäume über 100 Jahre alt. Unter den aktuellen Bedingungen sind es nicht mehr als 30 bis 40 Jahre. 80 Prozent der Stadtbäume in Bremen sind in keinem guten Zustand. Zahlreiche Bäume sind bereits stark geschädigt. Dadurch gibt es einen großen Pflegeaufwand. Viele Bäume müssen mittlerweile auch gefällt werden, weil sie nicht mehr verkehrssicher sind. So weit, so schlecht. Das Problem ist: Die gefällten Bäume werden nicht mehr nachgepflanzt, weil der Senat in Bremen nicht genug Geld hat.
Wir lesen in einen Artikel der Journalistin Anja Leuschner über Stadtbäume: »Es ist keine gute Maßnahme, einen alten Baum zu fällen und dafür fünf oder zehn junge Bäume zu pflanzen. Denn junge Bäume können die Leistungen eines alten Baumes nicht ersetzen.« Die Tatsache, dass ein neuer Baum nicht 1:1 einen alten Baum ersetzen kann, findet in der öffentlichen Diskussion keine Erwähnung. Warum ist das so ?
Alte Bäume sind die besten Klimaanlagen, weil sie durch ihre enorme Blattmasse eine große Verschattung und besondere Verdunstungsmöglichkeiten bieten. An diese Eigenschaften kann kein kleiner junger Baum heranreichen. Priorität ist: Wir müssen möglichst viele Altbäume gesund alt werden lassen und möglichst lang erhalten. Wir müssen unsere Altbäume schützen, dort wo sie gefährdet sind. Wir müssen diesen Bäumen durch konsequenten Baumschutz besseren Bedingungen verschaffen.
Zuständig für die Bäume in Bremen ist Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Die Fällungen und Nachpflanzungen werden durch den Umweltbetrieb Bremen (UBB) organisiert und umgesetzt. Wie man zuletzt auf einer Beiratssitzung erfahren konnte: Der UBB ist finanziell schlecht ausgestattet. Man hat kein Geld. Wie passt das seitens der politisch Verantwortlichen zum selbstdefinierten Anspruch für Bremen als Schwammstadt ?
Richtig ist: Die Stadt braucht eine »grüne Infrastruktur«, wie es etwas technisch im offiziellen Sprachgebrauch heißt. Aber »grüne Infrastruktur« heißt zuerst bestehende Bäume und Grünanlagen in einen möglichst guten Zustand zu versetzen. Dazu passt natürlich nicht, wenn Bremen es nicht schafft, Bäume, die gefällt wurden, nachzupflanzen. Den Baumbestand zu halten und zu vergrößern ist das Herzstück für die Schwammstadt. Es braucht eine finanzielle Grundausstattung für die Sicherung der Bäume und Stadtbäume und der Parkanlagen in Bremen. Die Mittel sind im Moment nicht einmal ansatzweise ausreichend. Die Umweltsenatorin hat für Maßnahmen in den Quartieren Haushaltsprobleme, die leider in Bremen seit Jahren offensichtlich sind. Wenn nicht genug Geld für die Ausstattung des zuständigen Umweltbetrieb Bremen (UBB) vorhanden ist, der für den Baumschutz der Hauptakteur ist, dann ist es schwierig, alle erforderlichen Maßnahmen als Grundlage für die Schwammstadt anzugehen. Zukünftig sollte sichergestellt werden: Bäume, die gefällt werden, müssen nachgepflanzt werden. Wo es immer geht, müssen diese Bäume sich besser entwickeln können. Das heißt, sie brauchen mehr Platz und Raum. Stadtbäume müssen zugleich auch geschützt werden vor Schädigungen durch Parkverkehre, Streusalz und anderen Einflüssen. Ebenso wichtig sind die Maßnahmen im Bestand. Wir brauchen eine bessere Pflege und intensivere Möglichkeiten, auch im Trockenzeiten den Baum zu bewässern. Sehr viel mehr Aufwand ist nötig – und
dieser erfordert viel mehr Geld. In Bremen muss für Baumschutz mehr Geld zur Verfügung gestellt werden. Und da hakt es leider.
Was kostet die Fällung eines durchschnittlichen Altbaumes? Was kostet die Nachpflanzung eines Jungbaumes mit Pflege und Baumschutz ?
Es kostet heute durchschnittlich ungefähr 6.000 Euro, einen Baum zu pflanzen. In diesem Betrag ist die Entwicklungspflege enthalten – also die Kosten für das Gießen und die Pflege über einen Zeitraum von zehn Jahren. Aber auch der Aufwand für die Fällungen der Bäume in Bremen ist erheblich. Derzeit sind es in Bremen insgesamt ca. 6,7 Millionen Euro, die für unsere Bäumen ausgegeben werden. Angesichts der Klimakrise mit ihren Auswirkungen wie Trockenheit durch zu wenig Wasser und Starkregenereignisse mit Überschwemmungen durch zuviel Wasser ist das nicht genug. Diese Auswirkungen der Klimakrise sind nicht gut für unsere Bäume im Stadtteil. Neupflanzungen von Bäumen sind zudem zuletzt erheblich teurer geworden.
Betrachten wir das Thema »Bäume« auf lokaler Ebene in unserem Stadtteil. Der Beirat Findorff sorgt sich angesichts der ausbleibenden Nachpflanzungen um den Bestand für die Gesundheit und das Mikroklima durch die so wichtigen, für sie so wichtigen Stadtbäumen in Findorff. Die Findorffer
LokalpolitikerInnen haben Anfang 2024 den Umweltbetrieb Bremen aufgefordert, den Gesamtbestand an Bäumen im öffentlichen Raum im Stadtteil zu erhalten und notwendige Nachpflanzungen vorzunehmen. Mittelfristig möchte der Beirat, dass der Baumbestand nicht nur zu erhalten ist, sondern vergrößert werden soll. Entschieden wurd einstimmig per Antrag, aber ist die Umsetzung der Forderung im Haushaltsnotlage Land Bremen auch nur ansatzweise realistisch ?
Wir brauchen angesichts der fortschreitenden Klimakrise den Erhalt der vorhandenen Bäume, aber auch eine stetiges Wachstum im Baumbestand. Wir brauchen mehr Grün statt weniger. Der Beirat hat recht, hier einzufordern, dass mehr Geld bereitgestellt wird.
Findorffer BürgerInnen haben mehrere Anträge zum Baumschutz in ihrem Stadtteil gestellt, der als proaktive Maßnahme wesentlich günstiger ist, als die Fällungen bereits krank gewordener Bäume. Im betriebswirtschaftlichen Vergleich: Wie hoch sind die Kosten für eine kurzfristig zu realisierende, proaktive Maßnahme zum Schutz eines durchschnittlichen, ungeschützten Baumes im Stadtteil im Vergleich zu den von Ihnen schon genannten Kosten für Fällung und Nachpflanzung ? Es würde akut stark helfen, indem wir unsere vorhandenen Bäume in Findorff mit Pollern vor Beschädigungen schützen. Nochmal gefragt: Was heißt es in der Summe, einen Baum proaktiv mit vier Pollern zu schützen – im Vergleich zu den bereits genannten Kosten für Baumfällung und Nachpflanzungen, die in Bremen völlig unzureichend erfolgen ?
Für den Schutz für einen Baum kann man pro Poller mit 200,00 Euro rechnen, also bspw. bei vier Pollern mit 800,00 Euro. Je nach Aufwand kommen dazu die Kosten für die Aufgrabungen.
Der Beirat befürwortet Baumschutz in Findorff einstimmig. Allerdings brauchte man zuletzt fast ein Jahr, um mit dem »Umweltbetrieb Bremen« (UBB) aufgrund mehrerer Bürgeranträge eine Ortsbegehung zu den ungeschützten Bäumen zu vereinbaren. Auch wenn nur ein Beiratsmitglied dabei war: Die war dann sehr konstruktiv, aber eine solche zeitliche Vorgehensweise ist doch angesichts des Klimawandels absolutes Schneckentempo. Wie sollen BürgerInnen den Anspruch der politisch Verantwortlichen, dass Bremen Schwammstadt werden will, ernst nehmen, wenn es bereits für eine banale Ortsbegehung zum Baumschutz so gar nicht vorangeht ?
Diesen Einzelfall kann ich nicht beurteilen, aber grundsätzlich halte ich ein solches Tempo natürlich für viel zu langsam. Insbesondere sollten sich an solchen Prozesse aber die Bürgerinnen beteiligen und von der Lokalpolitik mitgenommen werden, denn es sind die FindorfferInnen, die ihr Quartier und ihre Straße am besten kennen und damit auch wissen, wo Bedarf an mehr Baumschutz besteht.
Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf (GRÜNE) hat medial verkündet, das Bremen für Nachpflanzungen für die Jahre 2025/2026 drei Millionen Euro aus Bundesmitteln erhalten wird, wovon die Stadt 500 neue Straßenbäume anpflanzen möchte. Ist diese geringe Anzahl bei einem Bestand von 75.000 Bäumen ausreichend, um irgendwann für Bremen mit mehr Grün von einer Schwammstadt sprechen zu können ?
Das ist natürlich erstmal eine sehr gute Nachricht, dass der Bund unterstützt und Bremen in der Lage war, sich erhebliche Mittel zu besorgen. Aber diese Mittel sind nicht ausreichend. Wir brauchen eine Sicherung der Grundversorgung. Es besteht eine Daseinsvorsorge, die die Stadt als Pflichtaufgabe hat. Die Umweltbehörde kann den erforderlichen Baumschutz nicht über Projektmittel des Bundes absichern. Man könnte höchstens zusätzliche Mittel generieren, um bestimmte Maßnahmen zu fördern. Ein den Auswirkungen des Klimawandels angepasster Etat für den Erhalt des Baumbestandes, Nach- und Neupflanzungen gehört dauerhaft in den bremischen Haushalt.
Was würden Sie dem Beirat empfehlen, damit sich unser Stadtteil nicht mit den völlig unzureichenden Nachpflanzungen »abspeisen« lässt? Sollte der Beirat mit lauter Stimme mehr Öffentlichkeit herstellen, um das Umweltressort für Findorff in die Pflicht zu nehmen? Oder ist Schweigen im Walde
angebracht, um (partei)politisch niemanden zu verprellen ?
Im Beirat ist es eine wichtige Aufgabe, die Lebensqualität im Stadtteil zu erhalten. Er hat in erster Linie die politische Möglichkeit, zu Forderungen Anträge zu stellen. Zugleich ist es wichtig, dass man da mit den Akteuren in der Verwaltung und der Politik konstruktiv im Gespräch bleibt. Dabei braucht es einen langen Atem und die LokalpolitikerInnen sollten für ihre Ziele auch in die Öffentlichkeit gehen, durchaus auch mit lauter Stimme, wenn es zum Beispiel beim Thema Baumschutz nicht weitergeht. Es kann nie schaden, sich hier auch gemeinsam mit den Akteuren stärker und lauter zu Wort zu melden.
Frage an den langjährigen Sprecher: Verfügt der Fachausschuss »Bau, Umwelt, Klima und Verkehr« über einen Etat, der für den Schutz der Bäume sofort eingesetzt werden könnte ?
Beiräte in Bremen haben zwei verschiedene Töpfe, über die sie bestimmen können, was mit den vorhandenen finanziellen Mitteln passiert. Es gibt Globalmittel und es gibt das Stadtteilbudget für die einzelnen Fachausschüsse. Diese kann zum Beispiel ein Fachausschuss für Verkehrsmaßnahmen, zu denen auch der Schutz von Straßenbäumen gehört, einsetzen.
Man hört von ca. 120.000 €, die dem Fachausschuss für »Bau, Umwelt, Klima und Verkehr« zur Verfügung stehen. Kennen Sie diese Zahl ? Können Sie die bestätigen ? Warum wird ein Teil davon nicht für unseren Stadtteil eingesetzt ?
Über den aktuellen Stand in Findorff kann ich leider keine Auskunft geben. Ich bin ja schon einige Zeit in der Beiratsarbeit nicht mehr aktiv, aber es war in den zwölf Jahren meiner Tätigkeit immer so, dass dem Fachausschuss pro Jahr einige 10.000 Euro zur Verfügung standen. Wenn Mittel zur Verfügung stehen, sollten diese Euro auch zeitnah verwendet werden, denn es ist nicht sicher, dass diese Gelder immer auf das nächste Jahr übertragen werden. Sie können irgendwann verfallen. Daher sollten vorhandene Mittel oder einen Teil davon für den Baumschutz eingesetzt werden.
Wenn in der Umsetzung so weiter gemacht wird wie bisher: Ist die Schwammstadt Bremen dann eine Illusion ?
Das hoffe ich nicht. Es ist absolut notwendig, dass wir uns konkret um die Klimaanpassung in den Quartieren unserer Stadt kümmern – und zwar so schnell es geht. Stichwort überflutete Keller in
Findorff durch Starkregenereignisse: Die Klimakrise ist inzwischen mit ihren Auswirkungen auch bei uns im Stadtteil angekommen. Es gibt auch in Bremen gute Ansätze, aber es muss es schneller
gehen. Mit mehr Tempo müssen alle Akteure, die in der Stadt verantwortlich sind, in die Lage versetzt werden, die erforderlichen Maßnahmen mit mehr Geld und mehr Personal umzusetzen. Bremen ist
gut, wenn es um Konzepte geht, aber nicht gut genug, wenn es um die konkrete Umsetzung einem Stadtteil wie Findorff geht.
Interview: Mathias Rätsch, Foto: Kerstin Rolfes, Interview erschienen in Ausgabe Nr. 33, 2025